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  Robert Wyatt - Zwischen Realität und Tagtraum - Spex - Oktober 1981










Manche sagen. Gastfreundlichkeit sei eine besonders positive Eigenschaft der Engländer. Wie dem auch sei, so hat sich dieses Vorurteil doch wieder mal bestätigt. Robert Wyatt hat mich nämlich so herzlich aufgenommen, daß ich mich bei ihm zu Hause eher wie ein guter alter Bekannter als wie ein deutscher Reporter fühlte. Diese vertraute Atmosphäre war dann wohl auch die beste Voraussetzung für das Zustandekommen des folgenden Gesprächs:

R.: (blättert in der letzten Spex) Find ich sehr gut, die Au Pairs.

?: Kennst du auch welche von den deutschen Gruppen?

R.: Nein, nur die von früher wie Can und so.


Aus der anderen Richtung

?: Man hört, daß du dich ziemlich von dem distanzierst, was du zu frühen Soft Machine-Zeiten gemacht hast.

R: Ja, manchmal habe ich gesagt, das war alles Mist. Es war dumm, so etwas zu sagen, weil es damals für mich wohl wirklich das Beste war, was ich machen wollte und konnte. In der Zwischenzeit habe ich mich aber sehr verändert, ich sehe eben Vieles anders und kann mich nun mal nicht mehr so recht mit dem identifizieren, was ich früher gemacht habe. Vielleicht war es sogar besser als das, was ich jetzt mache. Ich bin nicht in einer objektiven Position, um das zu beurteilen.

?: Wie waren damals eure Auftritte?

R.: Es ist schön, wenn die Leute deine Musik mögen und, naja, du willst auch davon leben. So arbeiteten wir damals und hofften, daß es genug Leuten gefällt, um für unsere Musik hinreichend bezahlt zu werden. Wir haben oft in Clubs gespielt, wo gewöhnlich nur Musik zum Tanzen lief. Und die Hälfte des Publikums war enttäuscht, daß man zu unserer Musik nicht tanzen konnte. Die anderen sagten: „Das ist ja toll, was ihr da macht! Diese intellektuelle Musik ist doch viel besser als Tanzmusik-" So trafen wir auf Zuhörer, die für Tanzmusik nichts (mehr) übrig hatten. Aber wir kamen genau aus der entgegengesetzten Richtung. Unser Background war die eher akademische Jazzmusik, und wir machten eine Reise auf die populäre Musik zu. Bei unseren Gigs hatten die Leute nie getanzt, weil wir einfach keine Tanzmusik spielen konnten. Es ist wirklich schwer, gute Tanzmusik zu machen. Wenn du eine schlechte Reggae-Band hörst, verstehst du, was ich meine. Ich hatte immer absoluten Respekt vor scheinbar einfacher Pop-Musik und populärer Musik, weil sie für mich in gewisser Weise die moderne Fortsetzung der Folk-Tradition darstellen. Und weil wir das nicht konnten, haben wir etwas Anderes gemacht. Was mir aber dabei absolut nicht gefiel, war, daß manche Leute, die unsere Musik körten, sich als etwas Besseres vorkamen gegenüber den „Dummen", die höchstens Tanzmusik verstehen können. Aber vielleicht hinterfrage ich das Alles auch zuviel?

?: Was machen eigentlich jetzt die Leute, mit denen du in der Soft Machine gespielt hast? Elton Dean und Hugh Hopper spielen, soweit ich weiß, in wechselnden Jazz-Formationen. Und Mike Ratledge?

R.: Ich habe wirklich keine Ahnung, was die jetzt alle machen. Ich habe keinen Kontakt mehr zu ihnen. Es ist wie eine Scheidung nach einer Heirat. Zum Schluß konnten wir nicht mehr gut miteinander umgehen. Wir waren zwar freundlich zueinander. Aber das hat uns damals alle schon sehr mitgenommen. Wir haben uns gegenseitig überbeansprucht. Es war wie ein kleiner Krieg, bei dem wir uns gegenseitig ganz schön verletzt hatten. Guten Kontakt habe ich eigentlich nur noch zu Pip Pyle (früherer Hatfield and the North — Schlagzeuger) und zu den Leuten, die in Henry Cow waren {Chris Cutler. Tim Hodgkinson und Fred Frith).

?: Vor Jahren wurde das Soft Machine Triple Echo herausgebracht, ...

R.: Ja, das war kriminell. Sie fragten uns, ob sie alte Tapes und Demos zusammen mit neueren Aufnahmen auf einer LP-Kassette herausbringen könnten. Und wir hatten nichts dagegen. Auf unsere Vorstellungen wurde dabei aber überhaupt nicht eingegangen. Wir hatten gar keinen Einfluß auf die Zusammenstellung. Sie hatten nun mal all diese Tapes und wollten noch mehr Geld aus der Soft Machine herausholen. Wenn das Geschäftliche Überhand nimmt, dann braucht eine Schallplatlengesellschaft keine Musiker mehr. Es war so, als wenn wir alle gestorben wären. Okay, ich bin sehr behindert, aber ich lebe noch.

Ich habe noch nicht aufgehört...

Auf die Essenz der Dinge

?: Bei deinen neueren Aufnahmen beziehst du dich auch auf Pop-Songs, wie etwa die Edwards/Rodgers-Komposition „At last l am free", die auch auf der 1. Chic-LP zu finden ist.

R.: Ja. ich glaube, es war wirklich eine gute Übung für mich, mal einen so gut konstruierten Pop-Song zu singen. Ich hatte damit keinen großen Hit und es ging mir auch nicht darum, das Original so gut wie möglich zu kopieren. Ich singe und spiele das ja auch ganz anders, nur das Tempo ist gleich. Ja, die Stücke, mit denen ich wirklich am zufriedensten war, basierten gerade mal auf 2-3 Akkorden, vgl. „Stalin wasn't stallin'". Ich bin hauptsächlich an der Essenz von Dingen interessiert. Sound und Rhythmus sind mir sehr wichtig. Meine Tendenz ist es, das Material für einen Song auf ein Minimum zu reduzieren. Ich bemühe mich, all das Überflüssige, was nichts Echtes mehr hinzufügt, wegzulassen. Ich will herausfinden, wie wenig man tun muß, um noch ein gutes Musikstück zu machen. Vielleicht hat das auch sehr damit zu tun, daß ich älter werde. Früher wollte ich noch Alles ausprobieren. Ich variierte die Geschwindigkeit, experimentierte viel und machte Dinge komplizierter. Und jetzt bin ich eben hauptsächlich an den bloßen Elementen interessiert.

?: Magst du die Slits?

R.: Oh, ja. Die Slits finde ich hervorragend; z.B. „In the beginning, there was rhythm" und „Man next door" sind zwei so ungeheuer gute Singles, für mich zwei der besten Songs, die eine englische Gruppe je gemacht haben. Was mich auch interessiert: Ich habe da eine Platte von einer bulgarischen Percussionsgruppe. Sie bringen im Gegensatz zu englischen Folkloristen wirklich sehr komplexe Rhythmen, die selbst ich kaum verstehe.
Ich arbeite auch mit indischen Tabla-Spielern. Es ist wirklich eine sehr schwierige Disziplin. Tabla ist wohl auch das einzige Percussionsinstrument, auf dem ein Amateur keinen guten Sound erzeugen kann. Ich bin froh, daß ich die Gelegenheit habe, mit Tabla-Musikern zu spielen. Auch auf meiner letzten Single waren ein Tabla und ein Shehnai Spieler, beides Inder dabei.

?: Du hast ja auch auf Nick Mason's „Fictitious sports"-LP mitgemacht. Was hälst du von dieser LP insgesamt?

R.: Ich hab sie noch gar nicht gehört.

?: Was?

R.: Nick hat mir halt noch kein Exemplar zugeschickt.

?: Die letzte LP vor „Fictitious Sports", an der du maßgeblich beteiligt warst, war doch die 1976 erschienene „Silence"-LP, auch mit Carla Bley und Mike Mantler. Dann gab es ja eine lange Pause, bis du im letzten Jahr deine erste Single auf Rough Trade herausgebracht hast?

R.: Hm,... Ich glaube schon. Ich kann mich kaum daran erinnern, was in der Zwischenzeit war. Ich lebe stets in einer Art Tagtraum. Manchmal vergeht eine Woche oder ein Monat, in dem viele interessante und aufregende Dinge geschehen, ohne daß ich dabei ein sichtbares Resultat erkennen kann.






Ich habe oft Leute getroffen, bin in Kinos gegangen oder Ähnliches. Es gibt aber auch andere Wochen, in denen ich mich gar nicht so besonders gut fühle, und ich nehme in irgendeinem Studio in ein paar Stunden etwas auf. Das ist es eben, was für die meisten zählt, aber ich vergesse solche eine Woche vielleicht vollständig. Was also wirklich in meinem Leben passiert, was ich erlebe und wahrnehme ist nun mal nicht auf einer Schallplatte zu finden.

Von Ereignissen herumgetragen


R.: Ich kämpfe nicht sehr, um mir Situationen zu schaffen, die mir gefallen könnten. Ich habe auch keine konkreten Pläne; ich lasse Vieles auf mich zukommen. Die einzigen Entscheidungen, die ich treffe, sind negativ: „Ich will dies nicht tun, ich kann das nicht tun ... u.s.w.", bis mir schließlich noch höchstens eine Alternative übrigbleibt. Wenn etwas schwierig aussieht, dann begeb ich mich eben zu etwas Anderem, was mir leichter erscheint. Daher ist mein Verhalten sehr von äußeren Geschehnissen bestimmt. Ich glaube, ich habe in erster Linie nur deswegen angefangen, Musik zu machen, weil es für mich damals wohl die günstigste Alternative war. Alles Andere erschien mir viel zu schwierig.

Seit den 70'er Jahren ist die praktische Seite meiner Tätigkeit als Musiker immer schwieriger zu realisieren, einfach weil ich im Rollstuhl bin, und daher leb ich auch nicht mehr das Leben, das Musiker so führen. Es ruft halt kein Manager mehr an, der sagt: „Bring mal eben den PA rüber". Nichts dergleichen. Bis zu einem gewissen Grade wehrte ich mich anfangs gegen diese Situation, aber später kümmerte ich mich auch mehr um andere Dinge. So kam ich dann zu ganz anderen Aktivitäten, ohne es so recht zu bemerken.

Ich bin oft ins Kino gegangen; das fällt mir zu den späten 70'ern ein. Meine Frau, die beruflich damit zu tun hat, hat mich oft zu interessanten Filmen mitgenommen. Es war vielleicht die größte und stimulierendste Sache für mich, all diese Filme zu sehen. Ich bin eben seit vielen Jahren nicht mehr in der Lage, selbständig herumzufahren. Sicher waren die Filme für mich auch eine geistige Kompensation dafür, daß ich behindert bin. Und so hab ich mich auch manchmal nicht darum gekümmert, ob die Filme gut oder schlecht waren. Es ging mir einfach darum, eine andere Lebensperspektive zu erfahren. Ich bekam fast Platzangst, als ich immer zu Hause saß und so viel TV sah, wo dauernd eine englische oder amerikanische Version von irgendwas abläuft. Ich fühlte mich eingeschlossen. Daher hatte das Kino schon einen befreienden Einfluß auf mich, mehr als das, was musikalisch in den späten 70'ern passiert ist. Mir ist zwar nicht bewußt, ob und wie sich diese Erfahrungen auf meine jetzige Arbeit auswirken, aber diese Sache ist mir immernoch wichtig.

(Robert philosophiert dann über die Träume seines Hundes, der gerade etwas unruhig im Zimmer herumläuft:) Ich würde sonstwas darum geben, wenn ich sähe, was er träumt.

?: Wenn es soviele andere wichtige Dinge im Leben gibt, sollte man sich nicht an Stelle mit Musik besser z.B. im sozialpolitischen Bereich engagieren?

R.: Ich kenne das Gefühl sehr gut, wenn man nach dem besten Weg sucht, sich selbst zu engagieren. Ich kann manche Dinge nun mal physisch nicht realisieren, weil ich eben im Rollstuhl bin. Manche Leute, die mich besuchen, sagen, es sei ganz nett und sehr relaxed hier. Aber so fühle ich mich nur über die Hälfte meiner Zeit, in der anderen Hälfte bin ich oft sehr frustriert, denn ich muß ein weitaus zurückgezogeneres Leben führen als es mir lieb ist. Manchmal möchte ich, ... ich weiß nicht... vielleicht an der Front sein und den Angolanern helfen gegen die Südafrikaner zu kämpfen. So kann ich oft nicht die Menschen erreichen, mit denen ich mich verbunden fühle

?: Das siehst du vielleicht zu sehr aus deiner Situation. Das Problem besteht doch wohl auch für diejenigen, die aufgrund ihrer körperlichen Verfassung eher dazu in der Lage sind, ihre Ideen zu verwirklichen?

R.: Ja, natürlich. Ich weiß nicht, wie ich Entscheidungen treffen würde, wenn ich einen größeren Aktionsspielraum hätte und ob ich dann die Dinge tun würde, die ich eigentlich vorhätte zu tun.

Die gewisse Anonymität

R.: Ich glaube, daß ich mich in erster Linie gar nicht so sehr ausdrücken will, um „mein Zeichen" zu hinterlassen. Die Hauptsache ist für mich, in meinem Leben viele interessante Dinge zu erfahren. Manchmal ist eine gewisse Anonymität schon sehr gut. Ich kannte jemanden, der damit ein echtes Problem hatte. 1968 war ich oft mit ihm zusammen. Ich meine Jimi Hendrix. Er war niemals in einer anonymen Situation, denn er war entweder auf der Bühne oder in einer vom Manager errichteten Schutzzone. Wenn du nicht mehr irgendwo sein kannst, wo dich niemand kennt und wo du machen kannst, was du willst, dann vermißt du wirklich etwas Wesentliches.

?: Bezieht sich der Alifib/Alifie-Song auf deiner Rock Bottom-LP auf deine Frau?

R.: Ja, es ist aber auch ein Wortspiel bzgl. „Alive" Und „Fib" bedeutet im Englischen eine kleine Lüge.

?: Ich frag das nur, weil ich vor etwa einem Jahr in einer stressigen Situation war. Da habe ich dieses Lied sehr oft und sehr gern gehört.

R.: Das find ich schön. Es ist gut zu wissen, jemandem etwas geben zu können. Ich glaube, viele (Musiker) wissen gar nicht, was ihr Tun für eine Auswirkung hat. Sogar wenn man einen klaren Grund hat, etwas zu tun, so können sich dennoch die Gefühle und Gedanken eines Hörers sehr von den eigenen unterscheiden.

(In einer Kneipe Nähe Roberts Wohnung erzählte Robert u.a. noch eine kleine Episode aus früheren Zeiten:)

R.: Als ich 1974 meine erste Single ,,I'm a believer" machte, da meinte jemand während der Aufnahme zu mir, ob ich nicht etwas vom Ende des Stückes an den Anfang setzen könnte, weil der Disc-Jockey Tony Blackburn solche Intros nicht mag. Und ich dachte mir, Moment mal, nie zuvor hat mir jemand gesagt, was ich auf einer Platte machen soll, nur um es jemandem Recht zu machen.

?: (Kann ich mir doch nicht den schlauen Schlußgedanken verkneifen: Punk hat doch Einiges verändert!) Hier noch eine Übersicht an Schallplatten, an denen Robert Wyatt maßgeblich beteiligt war:

LP's:
The Soft Machine
Soft Machine Vol. l
Soft Machine Vol. 2
Soft Machine 3
Soft Machine 4
Soft Machine — Triple Echo
Robert Wyatt — End of an ear
Robert Wyatt — Rock bottom
Robert Wyatt — Ruth is stranger than Richard
Matching Mole — 1
Matching Mole — Little red record
Mike Mantler — The hapless child
Mike Mantler — Silence
Nick Mason — Fictitious sports
Singles:
I'm a believer
Yesterday man
Arauco/Caimanera
At last l am free/Strange fruit
Stalin wasn't stalling
Grass

Wolfgang Hanka
       
     
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